SAC Sektion Zermatt
Als eine der Trainingstouren für Matterhornaspiranten empfielt ein Merkblatt des Bergführerbureaus den Pollux: «Nicht so hoch wie andere Gipfel, aber Oho! Der Aufstieg über Schnee, Fels und Eis lässt keine Langeweile aufkommen!» Diese Aussage bewirkte dann, dass dieser Berg auf meiner Wunschliste „landete“. Die Erfüllung des Wunsches liess gar nicht so lange auf sich warten. Um es gleich vorweg zu nehmen: Die Tour war für mich persönlich ein Highlight. Eigentlich hätte es der Castor sein sollen. Aber nachdem das Vorhaben infolge Revision der Chleimatterhornbahn und der schlechten Schneeverhältnisse am vorgesehehen Berg (viel zu weich, da viel zu warm) zweimal verschoben werden musste, blieb uns nurmehr der 31. Juli. Anstelle des Castors sollten wir den Pollux ins Auge fassen, riet uns der mit dem SAC verbundene Rettungschef. Ich war sofort damit einverstanden.
Über uns wölbte sich ein tiefblauer, wolkenloser Himmel, als wir mit der Seilbahn dem Chleimatterhorn entgegenschwebten. Die Gipfel der Monte-Rosa–Breithornkette präsentierten sich in ihrer ganzen Pracht! Oben wurde angeseilt. Ich hatte noch etwas Mühe mit meinem neuen Gstältli, aber sofort war Ulli hilfsbereit zur Stelle und seilte mich fachgerecht an. Ich staunte, mit welcher Fertigkeit er mit Seil, Karabinern und dergleichen umzugehen wusste. Im Nachhinein weiss ich weshalb: Nicht nur weil er ein guter Bergsteiger ist, sondern weil er im Sportgeschäft „Yosemite El Cap SA“ diese Geräte gleich noch verkauft.
Nun gings los. Über Breithornplateau und Breithornpass gelangten wir auf der italienischen Seite bald auf den „G de Ghiacciaio“. Es war eine schöne, lustvolle Gletscherwanderung. Ein steiles Schneecouloir zieht sich die Westflanke des Pollux hinauf. Wir würden aber an dessen Stelle den Westsüdwestgrat benützen, denn dieser sei angenehmer, da der Aufstieg grossenteils im Fels erfolgt, erklärte uns Ulli. Der Fels-und Geröllpfad wird durch zwei oder drei hübsche Kletterstellen des zweiten Grades unterbrochen. Da ich schon längere Zeit nicht mehr zum Klettern gekommen war, schätzte ich es, dass ich mir Zeit nehmen durfte, Griffe und Tritte zu finden; so brachte ich diese Stellen gut hinter mich. Fast unvermittelt standen wir dann oben bei den fixen Seilen. Schnell brachte Ulli unten an einer Sicherungsstelle einen Karabiner an, hängte unser Seil ein und querte die griffarme Platte mit Hilfe der Fixseile. Oben brachte er einen zweiten Karabiner an. Nachdem wir von oben her gesichert waren, musste ich mich beim unteren Sicherungskarabiner aushängen, damit auch Anja nachkommen konnte. Wegen meiner geringen Grösse konnte ich die Sicherung zuerst nicht erreichen, soviel ich mich auch streckte. Zum Glück entdeckte ich dann nach mehreren vergeblichen Versuchen rechts weiter oben einen Tritt, mit dessen Hilfe ich, wenn auch nur etwas mühsam und ganz gestreckt das Seil aushängen konnte. Die anschliessende Querung war dann schnell geschafft. Nun kam der Durchschlupf: Eine grosse, etwas überhängende Felsplatte versperrt dort den direkten Weg. Man muss sie entweder rechts oder links umgehen, wo auch das Fixseil gelegt ist. Elegant und ohne Probleme turnte Ulli links am Fixseil hoch, querte dann nach rechts und … oben war er. Ich wollte es ihm gleichtun, aber oha! Das Fixseil, wiewohl an sich solide, war vom vielen Gebrauch fein „geschliffen und poliert“. Ich vermochte mit meinen Händen die Reibungskraft nicht aufzubringen, um mich daran hochziehen zu können; das Seil entglitt mir. Was tun? Ich versuchte rechts hoch zu kommen, denn ein Tritt weit hinten könnte da helfen. Im selben Moment, wo ich meinen Fuss darauf setzen wollte, machte es „wuff“ und jemand stand neben mir; beinahe hätte er sich auf mich gesetzt. Ein zweiter Mann folgte und dann noch ein dritter. Dieser Dritte war ein Bergführer. Er zeigte mir zwei Tritte: «Der einte Füess tüesch da drüff und der andere dert!» Ihm sei gedankt! So schaffte ich die Schlüsselstelle und stand bald oben bei Ulli. Das anschliessende Wändchen würde ich der guten Griffe und Tritte wegen auch ohne Fixseil schaffen, tröstete und ermunterte er mich. So war es dann weitgehend. Sowohl er wie der Bergführer müssen mein Malaise bemerkt haben.
Oben bei der Madonnenstatue schnallten wir unsere Steigeisen an, um den schönen, geschwungenen Schneegrat zu begehen. Am Ziel angekommen wurden ausgiebig Gipfelfotos geschossen. Ich freute mich über den gelungenen Aufstieg und über das herrliche Panorama, obschon ich die Namen der umliegenden Berge zur Genüge kannte. Bald waren wir dann wieder zurück bei der Madonna und verstauten die Steigeisen in unsereren Rucksäcken. Die Felsen hinunter ging es wesentlich besser und schneller, als hoch. Ulli liess uns mittels VP-Sicherung am Seil „hinunterfahren“. So war auch die im Aufstieg für mich heikle Stelle schnell geschafft. Dann weiter die glatte Platte hinunter; es machte zusehends Spass, das Seil „lief“! Auf einmal rief jemand „Stopp“! Es gab einen Ruck, ich erschrak und hing schief im Seil; ich war zu weit abgeseilt und musste nun wieder etwas hochsteigen. Das muss komisch ausgesehen haben. «Soo guet bisch na nié im dim ganze Läbe gsicheret worde», tönte es auf Zürichdeutsch in meinen Ohren. Der Spott stammte vom ersten Mann einer von unten her aufgestiegenen Dreierseilschaft. Diesen Spott gebe ich in Lob umgewandelt an Ulli weiter, denn er hat uns wirklich gut und kompetent gesichert! Wieder unten auf dem Gletscher stärkten wir uns für den Rückweg; es war warm geworden. Angesprochen auf mein Problem mit dem Fixseil, gab mir Anja einen wertvollen Tip: Weiche Gartenhandschuhe mit Gummiband und erhältlich im Jumbo würden wirksam Abhilfe schaffen. Solche befinden sich nun seit kurzer Zeit auch in meinem Rucksack, bereit für die nächste Bergfahrt. Zurück ging es dann, vorbei an mächtigen Schründen wieder aufs Breithornplateau. Eine bereits beim Hinweg etwas heikle Spalte konnte gut umgangen werden.
Danke Ulli und Anja für die gute und schöne Gemeinschaft; ich komme gerne wieder mit euch! Noch etwas: Der Pollux ist der erste Viertausender, den ich als Grossvater besteigen durfte, denn ich habe im Oktober letzten Jahres einen inzwischen aufgeweckten Enkel bekommen!